Donnerstag, 26. März 2009

Heute in der Post

Vor einiger Zeit hatte ich meine Unterschrift für das Volksbegehren "Pro Reli" abgegeben. Außer mir waren noch jede Menge andere Leute dafür, daß Schüler in Berlin die Wahlfreiheit zwischen "neutralem" Ethikunterricht und konfessionsgebundenem Religionsunterricht in der Schule haben sollen. Das Volksbegehren war erfolgreich, und so wird am 26. April in einem Volksentscheid über diese Frage abgestimmt. Heute lag die Abstimmungsbenachrichtigung in meinem Briefkasten. Die muß ich jetzt gut (aber nicht zu gut) beiseite legen, damit ich diesen wichtigen Termin nicht versäume.

Der "Wahlkampf" hat übrigens auch schon längst begonnen. Auf dem Heimweg fiel mir ein Plakat der Linkspartei auf, die mit dem Spruch "Religion ist freiwillig" gegen die Wahlfreiheit wirbt. Deppen ...

Nachtrag 27.3.2009:
Meine Antwort auf die beiden Kommentare ist so lang ausgefallen, daß ich sie lieber direkt hier in den Eintrag setze:

@ BigBadJohn:
Da ist nichts dran falsch. Das Problem in Berlin ist nur, daß der Ethikunterricht für alle Schüler verpflichtend ist und der konfessionsgebundene Religionsunterricht nur zusätzlich belegt werden kann. Die Schüler, die etwas über den Hintergrund ihrer Konfession lernen wollen, werden mit einer höheren Stundenzahl "bestraft". Ethik ist ein reguläres Schulfach, in dem Zeugnisnoten verteilt werden, die versetzungsrelevant sind. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist für die Versetzung irrelevant. Ich bin für Wahlfreiheit. Das Problem, was ich mit dem Plakat der Linken habe, ist folgendes: Religion ist freiwillig, da haben die sogar recht, nur: auch Ethik ist freiwillig. Daß die Linkspartei mit ausgerechnet diesem Spruch gegen Wahlfreiheit argumentieren will, ist schlicht lächerlich.

@ Nic:
Pro Reli will die Möglichkeit des interkulturellen und interreligiösen Austauschs eben nicht abschaffen. Lies Dir mal die Argumente in der Amtlichen Information zum Volksentscheid" durch: "Zwischen Ethik und Religionsunterricht kann unabhängig von einer Religionszugehörigkeit frei gewählt werden. Die Wahl gilt für ein Schuljahr. (...) Die Unterrichtsgruppen von Ethik, Religions- und Weltanschauungsunterricht sollen zusammenarbeiten: in gemeinsam gestalteten Unterrichtsabschnitten, bei gemeinsamen Projekten oder indem sie einander darstellen oder befragen und gemeinsam diskutieren, was sie in ihrem Fach gelernt haben." (Hervorhebungen im Original)
Ich möchte auch noch mal auf die Ergebnisse einer Studie der HU Berlin verweisen: eine interdisziplinäre Forschergruppe hat die interreligiösen Kompetenzen von Berliner und Brandenburger Schülern untersucht und festgestellt: der (evangelische) Religionsunterricht fördert interreligiöse Kompetenzen.

Und was Dein letztes Argument betrifft: Wenn Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach ist, kann der Staat die Unterrichtsinhalte viel besser kontrollieren, als es jetzt der Fall ist. Religion als ordentliches Unterrichtsfach steht unter staatlicher Aufsicht. Die Religionsgemeinschaften bestimmen zwar den Inhalt, sind dabei aber dem Grundgesetz verpflichtet. Meine Religionslehrer in NRW hatten - mit einer Ausnahme - ihr Fach auf Lehramt studiert und mit dem Staatsexamen abgeschlossen. Die Ausnahme war ein von der Evangelischen Kirche abgestellter Pfarrer, der - im staatlichen Auftrag - ebenfalls Schulklassen übernommen hat. Lehrermangel halt. Wir haben im Religionsunterricht der Sekundarstufe I natürlich schwerpunktmäßig die evangelisch-lutherische Konfession kennengelernt, es gab aber auch Unterrichtseinheiten zum Katholizismus, Judentum und Islam. Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden herausgestellt und diskutiert. Ressentiments wurden nicht geschürt. Daneben gab es auch Einheiten zum "Sinn des Lebens". Das wird im katholischen und jüdischen Religionsunterricht nicht anders sein. Und es wird höchste Zeit, daß es einen staatlich kontrollierten islamischen Religionsunterricht gibt, mit Universitätsstudium und Staatsexamen Ich zitiere noch einmal aus den Argumenten von Pro Reli:
"Berlin darf vor dem, was Multikulturalität auch an sozialen Konflikten birgt, die Augen nicht verschließen. Der Abbau von Spannungen setzt jedoch voraus, dass jeder zumindest die Wurzeln und Quellen dessen kennt, worauf die eigene Kultur und seine persönliche Überzeugung beruhen.
Dabei gilt hier wie an anderer Stelle: Es ist wichtig zu wissen, was man tut oder denkt. Wo wenig Wissen über die eigenen Wurzeln und Vorstellungen besteht, kann Religion radikalisiert werden. Wissen über religiöse Inhalte beugt jeder Form von Radikalisierung vor. Diese Aufgabe kann ein aufgeklärter Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung leisten. Dies gilt gleichermaßen für christlichen, jüdischen oder islamischen Religionsunterricht."

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Was ist falsch daran, allen Kindern, unabhängig von Religion und Weltbild Ethikunterricht zu erteilen? Religion ist meiner bescheidenen Meinung nach Privatsache, und wer seine Kinder entsprechend seiner Religion unterrichtet haben möchte, kann das gerne auf freiwilliger Basis tun (so verstehe ich das Wahlplakat und gebe der Linkspartei damit 100% recht)).

Unknown hat gesagt…

Nichts und Niemand will, dass Religion aus den Schulen verschwinden soll.

Wer sein Kind religiös erziehen will, kann das tun (wie bisher), wer als Eltern aber möchte, dass sein Kind über den Tellerrand schauen kann (ich zitiere einen Artikel von Dir), der sollte dafür sein, dass Kinder die Möglichkeit haben, sich interkulturell/interreligiös auszutauschen. Und das ist will Pro-Reli abschaffen.

Nur als Hinweis: der Gedanke, dass Kinder im europäischen Kulturkreis wissen sollten, woher die Kultur kommt ist unbestritten. Ebenfalls, dass man dazu einen Einblick in die christliche Geschichte haben muss.
Aber: in Berlin leben ca. 40% Menschen, deren kultureller Background NICHT christlich-abendländisch ist. Und zudem denke ich, dass es nicht den Religionsgemeinschaften überlassen bleiben darf, dieses Wissen zu übermitteln, sondern dem Staat. Und zwar im Fach Ethik.
Lies einfach mal die letzten Kapitel Richard Dawkins "Gotteswahn" - der kann das viel besser erklären als ich.

Unknown hat gesagt…

Da Du sehr lang und ausführlich auf meinen Kommentar eingegangen bist (Danke) will ich Dir auch darauf antworten - ich hoffe, ich schaffe es in wenigen Zeilen:
Du schreibst:
"Das Problem in Berlin ist nur, daß der Ethikunterricht für alle Schüler verpflichtend ist und der konfessionsgebundene Religionsunterricht nur zusätzlich belegt werden kann."
Weshalb ist das ein Problem? Mein Problem ist offensichtlich, dass ich darin keines sehe.
Die von Dir zitierte Studie der TU ist aber nicht unbestritten... ein stumpfes Schwert. Allenbach hat dazu etwas veröffentlicht: http://hpd.de/node/6685

Wenn Du sagst:"Ethik ist ein reguläres Schulfach, in dem Zeugnisnoten verteilt werden, die versetzungsrelevant sind." dann bedenkst Du offenbar nicht, dass genau das auch zukünftig für den Religionsunterricht zutreffen soll.

Und leider ist hier der Wunsch der Vater des Gedanken:"Wenn Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach ist, kann der Staat die Unterrichtsinhalte viel besser kontrollieren" - denn der Senat hat keinen Einfluss auf die Lehrinhalte der Kirchen. - ich weiss, dass das ein gern genommenes Argument ist; falsch bleibt es trotzdem.

Ute hat gesagt…

@ Nic: Ich gebe ja zu, daß ich auch nicht weiß, wer die Studie der HU in Auftrag gegeben hat. Allerdings möchte ich Dich jetzt doch einmal bitten, mir den Zusammenhang zwischen der Studie und dem Kommentar des Humanistischen Pressedienstes zu einer Allensbach-Umfrage zum Thema "Akzeptanz der Evolutionstheorie in Deutschland" zu erläutern. Mal abgesehen davon, daß der Humanistische Pressedienst in der Frage des Volksentscheids keine unparteiische Instanz ist.

Natürlich sind die Religionsgemeinschaften für die Inhalte des Unterrichts zuständig - aber der Staat setzt die Qualitätsmaßstäbe. In der außerschulischen Religionsunterweisung ist es wesentlich einfacher, die Schüler zum Kreuzzug oder zum Dschihad anzustacheln.

Übrigens habe ich im Religionsunterricht der Oberstufe bei der katholischen (die Trennung evangelisch-katholisch ließ sich da nicht mehr aufrechterhalten) Religionslehrerin gelernt, die Bibel als literarischen Text zu lesen. Das hat zu ganz überraschenden Erkenntnissen geführt: daß z.B. in der Geschichte der Sintflut zwei verschiedene Versionen zu einem Text verschmolzen sind; oder daß die Geschichten von den Wunderheilungen des NT nach einem immer gleichen Schema aufgebaut sind, nach dem auch Wunderheilungen durch Götter oder Helden anderer antiker Religionen erzählt wurden. Danach dürfte auch dem letzten in unserem Kurs endgültig klargeworden sein, daß die Bibel eben nicht wortwörtlich verstanden, sondern als vielfach von Menschen überarbeiteter literarischer Text betrachtet werden muß, der in erster Linie die Glaubenswelt der Antike wiederspiegelt. Und wer das einmal begriffen hat, hat auch die Kraft, anderen Religionen gegenüber tolerant und aufgeschlossen zu sein. Das kann natürlich auch ein guter Ethikunterricht leisten, aber wie gesagt: ich finde, jeder Schüler (bzw. die Eltern) sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden, wie er zu solchen Erkenntnissen geleitet wird. Daher bin ich "Pro Reli".

Anonym hat gesagt…

Du sagst, der Religionsunterricht gewährleistet dieselbe Bildung wie Ethikunterricht, okay. Aber wo bleibt das Gleichheitsprinzip? Deutschland ist und bleibt auf dem Weg zum Vielvölkertsaat, mit einer Vielfalt von Religionen und Weltanschauungen. Warum sollen Christen exklusiv (vom Steuerzahler bezahlten) Religionsunterricht erhalten, Juden, Moslems, Humanisten, Naturalisten, Atheisten, Hindus, Buddhisten ect. aber nicht? Wie soll das in Zukunft funktionieren? Einmal pro Woche kommen 20 verschiedene Religionslehrer an die Schulen, um IHREN Religionsunterricht zu erteilen? Da gibt es nur eine Lösung: Ethikunterricht verpflichtend für alle. Außerdem ist Ethikunterricht ein wichtiges Werkzeug zur Integration. Nur so lernen die Kinder voneinander und übereinander. Ich beneide die Berliner sehr um dieses moderne sowie zukunftweisende System, und wünsche selbiges dringend für meine Kinder. Ein Sieg von Pro-Reli wäre ein Gewaltiger Rückschritt für alle, auch für die christlichen Kirchen, die hier krampfhaft versuchen, ihre Pfründe zu erhalten (und die Möglichkeit, Kinder in ihrem Sinne zu indoktrinieren).

Ute hat gesagt…

Ich habe nirgends gesagt, daß nur die christlichen Kirchen Religionsunterricht anbieten dürfen sollen. Und es ist mir wesentlich lieber, wenn auch die muslimischen Kinder (in ihren unterschiedlichen Ausprägungen) staatlich finanzierten Religionsunterricht mit nach wissenschaftlichen Standards an deutschen Universitäten ausgebildeten Lehrkräften besuchen können, als wenn sie mangels Angebot in den Schulen in mehr oder eher weniger offiziellen Koranschulen von Imamen unterwiesen werden, die z.B. von der Ditib nach Deutschland entsandt worden sind. Da sehe ich eine viel größere Gefahr der "Indoktrination". Der Religionsunterricht, den ich besucht habe, hatte mit Indoktrination jedenfalls nichts zu tun. Und wenn sich nicht für jede kleine Glaubensgemeinschaft eigene Lehrer finden und finanzieren lassen, dann kann man auch über gemeinsamen Unterricht nachdenken. In meiner Klasse saßen zwei Kinder, die einer freikirchlichen Gemeinde angehört haben und dennoch am evangelischen Religionsunterricht teilgenommen haben. Das war überhaupt kein Problem.

BigBadJohn hat gesagt…

Trotzdem will Pro-Reli die Kinder nach Konfession und Weltbild trennen. Das kann man doch nicht ernsthaft gutheißen?

Zur Indoktrination: Vielleicht hattest Du Glück, und hattest keine Religionslehrer, die Indoktrination und Missionierung ausgeübt haben. Oder Du stammst aus einer "christlich-praktizierenden" Familie, mit entsprechender Vorprägung, sodass Du die Indoktrination gar nicht bemerkt hast?

Bei mir war das anderes: Meine Eltern, Schwester und ich waren damals ev. Kirchenmitglieder (das hat man zu der Zeit halt so gemacht), haben aber ein agnostisches Weltbild, und sind nie in die Kirche gegangen. Ich habe noch nie, auch nur ansatzweise einen Gottesglauben gehabt, ich wollte statt „glauben“ immer "wissen" und habe alles kritisch hinterfragt. Das fing schon in der ersten Klasse an, als wir im Religionsunterricht (Ethik gab es damals leider noch nicht)Bilder mit religiösen Motiven malen sollten, wie Moses das Meer geteilt hat. Wie soll das funktioniert haben? Die Religionslehrer empfanden mich durch die gesamte Schulkarriere (bis ich diesen Quatsch endlich abwählen konnte)als Störfaktor, und haben mich dementsprechend benotet. Während der gesamten Schulzeit mit Religionsunterricht, wurde übrigens nichts über andere Weltbilder gelehrt, z. B. Philosophie, den kategorischer Imperativ, überhaupt, Kants Aufklärung, oder gar über die Gräueltaten der Kirche während der Inquisition. Luther spielte natürlich eine Riesenrolle im ev. Religionsunterricht, aber dass er ein übler Antisemit war, wurde selbstverständlich verschwiegen. Dieses Wissen habe ich mir später selbst angeeignet.

Rückblickend würde ich sagen, dass allein schon das Weglassen der eben aufgezählten Themen pure Indoktrination ist. Das ist wiederum ein weiteres gewichtiges Argument für den Ethikunterricht, dass die Kinder unvoreingenommen neutral, sachlich und vielschichtig über die verschiedenen Weltbilder unterrichtet werden.

Ute hat gesagt…

Meine Eltern sind in der Kirchengemeinde (Presbyterium und CVJM) aktiv, allerdings derzeit schwer enttäuscht von der Kreiskirchenleitung. Das betrifft allerdings die ganze Gemeinde.
Vielleicht hattest Du wirklich Pech mit dem Religionsunterricht, während ich Glück hatte. Mich haben weder der schulische Religionsunterricht noch der Konfirmandenunterricht noch die Mädchenjungschar noch die langjährige Mitgliedschaft in zwei Kirchenchören davon abhalten können, selbst eine agnostische Haltung zu entwickeln. Es ist Jahre her, daß ich zum letzten Mal einen Gottesdienst besucht habe.

Kants kategorischer Imperativ und die anderen Strömungen der Philosophie wurden schon im Geschichtsunterricht angesprochen. In der Oberstufe dann auch im Religionsunterricht. Und Luthers antisemitische Schriften - zugegeben, das kam nicht im Religionsunterricht vor. Allerdings: wußtest Du, daß auch Kant nicht so sehr antisemitisch, aber rassistisch gedacht hat und Afrikanern generell die Fähigkeit zum rationalen Denken abgesprochen hat? Das habe ich in keiner einzigen Unterrichtsstunde egal welcher Fachrichtung erfahren, sondern erst im Studium, in einer hochinteressanten Vorlesung des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte zum Thema "Rassismus - Antirassismus".

Andreas hat gesagt…

Irgendwie ist dieser Artikel an mir vorbei gegangen ... sonst hätte ich mich da längst geäußert. Ich halte es wie BigBadJohn. Jeder darf von mir aus glauben was er möchte. Allerdings ist das Privatsache und er hat mich bitte damit in Frieden zu lassen.

Verpflichtender Religionsunterricht in der Schule empfinde ich als Zumutung. Ethik hingegen als Notwendigkeit. Da ist Berlin meilenweit vorn. Glücklicherweise scheinen das "die Berliner" mehrheitlich auch so zu sehen - sofern sie sich überhaupt dafür interessieren. Nimmt man Wahlbeteiligung und Abstimmverhalten der Wähler zusammen, könnte man tatsächlich denken, ein mehrheitlicher Teil der Berliner ist Atheist oder Agnostiker. Und das wäre gut so.

Ich halte "Religion" und Kirche (nicht "Glauben"!) für die Wurzel allen Übels auf der Welt.