Montag, 30. Juni 2008

Sonntagabend

Ein Gutes hatte das Großereignis der vergangenen drei Wochen ja doch: wegen des übergroßen Interesses am Endspiel kam ich zu einer Opernkarte. :-) Und das kam so: der Bruder einer Freundin kam nach Berlin, hatte zwei Karten für die Komische Oper und fand niemanden, der ihn begleiten wollte. Als seine Schwester mich dann fragte, sagte ich natürlich sofort ja, auch wenn sie sich partout nicht den Namen der Oper merken konnte. Es war, wie sich dann durch einen kurzen Blick auf die Internetseite feststellen ließ, keine andere als meine absolute Lieblingsoper! Da war die Freude natürlich umso größer. Auch wenn in der Komischen Oper grundsätzlich alles auf Deutsch gesungen wird und nichts an das russische Originallibretto heranreicht, da dieses in weiten Strecken wortwörtlich von Puschkin abgeschrieben ist. Und der ist einfach unübertroffen.

Gestern abend zog ich mich also operngerecht an (langes dunkelblaues Kleid, Umschlagtuch, dezente Kette und schicke Schuhe) und machte mich auf den Weg. Wie kommt man nun am Sonntagabend mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Komischen Oper? Die BVG-Seite empfahl mir den Bus und die Haltestelle Eberstraße (direkt am Holocaust-Mahnmal). Hm, den Bus hatte ich am Tag vorher auch schon genommen, als ich zum Potsdamer Platz gefahren war, und da hatte die Anzeigentafel an der Haltestelle schon was von wegen Umleitung durch den Tiergartentunnel gesagt. Wegen der Fanmeile. Da konnte also irgendwas nicht stimmen, und ganz richtig fand sich auch der Hinweis auf „aktuelle Verkehrsstörungen“ und dort dann auch – ganz klein gedruckt – die Mitteilung, daß die o.g. Haltestelle aktuell gar nicht angefahren wird. *hmpf* Na ja, die Modemverbindung war wieder mal besonders langsam, und so beschloß ich ohne weiteres Nachprüfen von Alternativverbindungen, einfach mit der S-Bahn nach Unter den Linden zu fahren und den Rest zu Fuß zu gehen.
Eine erste Verzögerung ergab sich am U-Bahnhof. Ich sah, wie eine ältere Frau mit extrem krummem Rücken versuchte, sich und ihren Rollator die Treppen hoch zu schleppen. Zwei Stufen hatte sie schon geschafft. Mein Hinweis, es gebe auch einen Fahrstuhl, wehrte sie dankend mit den Worten ab, da wüßte sie nicht genau, auf welchen Ebenen des U-Bahnhofs der halte. Wußte ich natürlich auch nicht. Und die Rolltreppe neben der normalen Treppe? Mit Rollator nicht zu befahren. Aha. Also habe ich mir mein langes Umschlagtuch um den Hals gewickelt (da war es nicht im Weg) und habe der Frau kurzentschlossen den Rollator die Stufen hoch getragen. Soviel Zeit mußte sein (hatte ich auch). Ohne das Gerät kam sie selbst auch viel schneller an die Oberfläche.
Auf die S-Bahn mußte ich dann etwas länger warten. Als sie dann endlich fuhr, kam die – mal wieder schwer verständliche – Durchsage, wegen der Fanmeile sei die S-Bahn-Station Unter den Linden heute geschlossen. *argh* Reisende nach Unter den Linden sollten doch bitte am Potsdamer Platz oder an der Friedrichstraße aussteigen. Ich hatte die Wahl: am Potsdamer Platz aussteigen und zu Fuß laufen, oder an der Friedrichstraße in die U-Bahn umsteigen und die eine Station bis zur Französischen Straße fahren. Ich entschied mich für ersteres. Konnte ja nicht so weit sein, und lange Spaziergänge sind für mich nun wirklich kein Problem. Ich stieg also am Potsdamer Platz aus und ging die Ebertstraße entlang. Hinter dem Holocaust-Mahnmal mußte ich rechts in die Behrenstraße abbiegen und dann ein Stück geradeaus gehen. Kein Problem.
Dummerweise war vor dem Holocaust-Mahnmal eine Polizeiabsperrung. Wegen dieser *** Fanmeile. Ich ging also auf einen der Polizisten zu und fragte, wie ich am schnellsten zur Komischen Oper in der Behrenstraße gelangen würde. „Fragen Sie mal die Kollegen da vorne am Auto.“ Diese befanden sich gerade in einer Diskussion mit zwei weiblichen Fußballfans. Ich ging dazwischen.
„Entschuldigung, ich möchte in die Behrenstraße zur Komischen Oper.“
„Wohin wollen Sie?“ (Ungläubiger Blick)
„In die Komische Oper.“
(Mal ehrlich: knöchellanges dunkelblaues Kleid, Umschlagtuch, schicke Schuhe und Damenstrumpfhose und vor allem JEGLICHE Abwesenheit der Farben Schwarz, Rot und Gelb im Outfit – sehe ich aus wie ein Fußballfan?!)
„In die Komische Oper? Was läuft denn da heute abend?“
„Jewgeni Onegin.“
„Ok., gehen Sie durch.“
Upps, DAS war einfach. (Wahrscheinlich hätte ich dem auch irgendeine beliebige andere Oper nennen können.) Das fanden die beiden Fußballfans auch. „He, da wollen wir auch hin, da wollen wir auch hin!“ Pustekuchen!
Eine Querstraße vor der Komischen Oper mußte ich aus der Polizeiabsperrung wieder raus (das ging noch einfacher) und erreichte mein Ziel mit hängender Zunge (nur im übertragenen Sinn!) 13 Minuten vor Beginn der Aufführung.

Die fand ich nun eher gemischt. Zunächst einmal gehört der für den Bühnenbelag Verantwortliche geteert und gefedert, denn wenn dieser grüne Noppenbelag, der auch die Pausenhalle und Flure in meiner alten Schule „ziert“, auch durchaus zum restlichen Lagerhallencharme des Bühnenbilds paßt, hätte man da sicher auch was anderes gefunden. Dieser Noppenboden sondert nämlich ein deutlich vernehmbares Quietschen ab, sobald jemand drüber geht. Und da ging dauernd jemand drüber. Meistens sogar gleich der ganze Chor, der auch in den Szenen auf der Bühne herumrennen sollte, wenn er da gar nicht hingehört. Die unvergleichlich schöne Briefszene zum Beispiel, in der Tatjana des Nachts allein in ihrem Zimmer den Brief an Onegin schreibt, sah hier so aus, daß ihr alle weiblichen Chormitglieder beim Schreiben über die Schulter gesehen haben, erst ratlos und dann, nach vollbrachter Tat, ermutigend lächelnd.
Also: die Sopranistin singt diese wunderschöne Arie von Tschaikowski zu den wunderschönen Worten von Puschkin und dazu laufen oder gehen zwanzig weitere Frauen über die Bühne.

Nicht wahr? Ich hörte Dich und kannte
Dich: denn im Schweigen sprachest Du *quietsch quietsch*
Wenn ich den Armen Hilfe sandte *quietsch quietsch*
Oder mit Stoßgebeten bannte
Der Seelenstürme Leid dazu? *quietsch quietsch*

Furchtbar!! Dem Kerl wünsche ich, daß sich solch ein Dauerquietschen auf seine Lieblingsmusik legt, damit er weiß, was er den Opernbesuchern damit angetan hat!!
Und sonst? Das Bühnenbild bestand aus einem sich nach hinten sehr schräg hebenden Boden, auf dem drei Gruppen drehbarer Plastikstühle befestigt waren, auf denen Chor und Solisten in regelmäßigen Abständen Platz nahmen, wieder aufstanden und drum rum tanzten oder hüpften (quietsch quietsch). Das Duell wurde mit einer einzigen Pistole abgehalten, mit der Onegin (im Outfit eines Soap-Hauptdarstellers) sich erst selbst erschießen wollte (häh?), bevor Lenski sie ihm aus der Hand riß, damit erst in der Gegend herumfuchtelte und sich dann selbst erschoß. Woraufhin Onegin sich auch umbringen wollte, was aber nicht klappte, einer aus dem Chor riß ihm die Knarre wieder aus der Hand, Onegin riß sie wieder an sich, knallte erst ein paar mal in der Gegend herum, wollte sich dann wieder selbst in den Kopf schießen und mußte feststellen, daß er alle Kugeln verschossen hatte. Dann sank er müde auf einem der Stühle nieder und klagte über die Langeweile. Manchmal wünschte ich mir wirklich, die Opernregisseure würden auch ab und an mal auf den Text sehen.
Zum Glück war die musikalische Darbietung in Ordnung. Die Tatjana fand ich teilweise etwas leise, und die Textverständlichkeit ließ manchmal ein bißchen zu wünschen übrig. Aber sie ist auch keine Deutsche, da kann man das eher entschuldigen. Fürst Gremin – toller Baß, Lenski hat mir auch gefallen, und der Onegin war auch gut.

Der Applaus am Ende klang sehr spärlich, aber da das Haus auch nur zu ca. einem Viertel besetzt war ... Nach der Vorstellung blieben dann auch alle beim benachbarten Westin Grand Hotel stehen, wo vor dem Eingang im Restaurantbereich ein großer Fernseher aufgestellt war. „Wie steht’s denn?“ Mir egal, ich wanderte südlich zum U-Bahnhof Stadtmitte. Von da fuhr nämlich ein Bus. Noch nie habe ich die Potsdamer Straße so leer gesehen. Es waren kaum Autos unterwegs. Nur vor einigen Restaurants und Cafés war Betrieb – vor dem Fernseher. Verrücktes Volk. Und als ich von der Bushaltestelle nach Hause ging, mußte ich noch durch eine Gruppe aufgekratzter zehnjähriger Jungs mit Migrationshintergrund durch, die über den Bürgersteig hüpften und „Türkiye! Türkiye!“ riefen – warum auch immer.

Jedenfalls hatte ich einen sehr schönen Abend. :-D

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der grüne Noppenbelag war sicher eine Arbeitsschutmaßnahme. Aber wie nie zuvor wünschte ich mir das gute alte Singen an der Rampe zurück. Mehr Statik. Gerade an den zartesten Stellen dachte ich: Jetzt Stehenbleiben! Nicht bewegen. Die vielen Schüsse hatte dann wohl doch ihr Gutes, übertünchten sie doch das Dauergequietsche. Kannst Du das nicht Herrn Homoki weiterleiten? Jan

Ute hat gesagt…

Für den Bodenbelag gibt es keine Entschuldigung. Die Dame, die außer uns noch in der Loge gesessen hatte, meinte, auch in anderen Inszenierungen sei der Boden dermaßen schräg, und da würde es nicht quietschen.